Die Bedeutung des Begriffs "karāma" (Würde) und seine semantische Verbindung zu "sabr"

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  • hochgeladen 30. Januar 2018

Die Bedeutung des Begriffs "karāma" (Würde) und seine semantische Verbindung zu "sabr"
 
Dass solche Begrifflichkeiten, die wörtlich aus dem Koran entnommen sind, eine prägnante heroische Aufladung erfahren haben, lässt sich ebenfalls an dem Begriff "karāma", auf Deutsch als Würde zu verstehen, aufzeigen. Dieser Begriff findet sich unter anderem im Zusammenhang mit kämpferischen Absichten und mit dem Aufruf eine mit der Nation oder aber auch mit dem Geschlecht verknüpfte Ehre zurück zu erlangen.
 
 
Prof. Dr. Pink: Der Begriff Würde, also karāma, ist eine Wurzel, die im Koran vorkommt, und zwar in einem Vers, der sagt, "wir haben die Menschen mit Würde versehen". Es ist kein besonders prominenter Begriff im Koran. Er kommt nicht sehr oft vor, aber man kann feststellen, dass er über die vergangenen 100 Jahre, im Prinzip seit Muhammad ʿAbduh, sehr stark an Bedeutung zugenommen hat. ʿAbduh hat ihn ganz klar mit rationalistischen Ideen verknüpft. Für ihn bestand diese Würde des Menschen darin, dass der Mensch sich seiner Vernunft bedient, anstatt fatalistisch etwas zu tun, wovon er meint, dass die Religion es ihm gebietet. Der Begriff ist somit ganz stark mit seinem Programm der gesellschaftlichen Reform verbunden, die besagt, dass sowohl Einzelne als auch ganze Gesellschaften ihre Würde nur erlangen können, wenn sie selber auch etwas dafür tun, wie beispielsweise Bildung erwerben und sich entwicklen usw.
Man kann immer wieder beobachten, dass dieser Begriff neu aufscheint. Bei Sayyid Qutb und im Zuammenhang mit der Muslimbruderschaft spielt er auch eine ganz große Rolle, ist aber wiederum ganz anders gedeutet als bei Muhammad ʿAbduh. Der Begriff hat für Qutb damit zu tun, dass man sich nicht menschlichen Herrschern und ihren Gesetzen unterwirft. Diese sind für ihn Götzen, die er mit dem koranischen Pharao, der Gegenspieler von Moses, gleichsetzt: ein menschlicher Herrscher, der sich selbst zum Götzen macht und von den anderen Menschen erwartet, dass sie ihn anbeten. Das ist für Sayyid Qutb ein absoluter Verstoß gegen den Gottesanspruch auf alleinige Souveränität. Menschen, die sich solchen menschlichen Götzen unterwerfen, verlieren seines Erachtens nach ihre Würde.
Dies ist ein Diskursstrang, der sich fortsetzt und den wir im Prinzip bis heute finden. Er wird sehr oft auch mit kämpferischen Ideen verbunden, wie beispielsweise in der Terminologie des IS. Es gibt die bekannte Freitagspredigt, die Abu Bakr al-Baghdadi nach der Eroberung von Mossul gehalten hat und die man auf "YouTube" findet. Da spielt das Motiv der Würde eine ganz zentrale Rolle und zwar in dem Sinne, dass Abu Bakr al-Baghdadi die irakische Bevölkerung daran erinnert, was die Amerikaner ihnen nach der Besatzung angetan haben. Es werden solche Bilder, wie die Demütigung von irakischen Gefangenen im Gefängnis Abu Ghu-reib evoziert und als Verlust von Würde dargestellt, die man sich nur wiederholen kann, wenn man gegen die Widersacher kämpft. Es handelt sich in diesem bestimmten Fall also um einen Würdebegriff, der auch mit einem entmännlichten Ehrkonzept verknüpft und natürlich ganz stark heroisch aufgeladen ist.
Wir haben den Begriff karāma aber genauso in den friedlichen Demonstrationen von 2011 gehabt. Dort wurde er so verwendet, wie man ihn vielleicht auch im Kontext des deutschen Grundgesetzes verstehen würde: nämlich als Anspruch auf bestimmte unveräußerliche Rechte. Dass man zum Beispiel geschützt ist vor staatlicher Willkür, vor Folter usw. In diesem Fall ist es also ein ganz unheroischer Würdebegriff, der vielmehr mit Menschrechten zu tun hat.

 
Es ist tatsächlich ein sehr schillernder Begriff und ich werde ihn insoweit untersuchen, wie er mit dem semantischen Feld des abrzusammenhängt und in diesem Zusammenhang benutzt wird.

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Referent/in: Prof. Dr. Johanna Pink

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